Zum wiederholten Mal arbeiteten die PfD und das Dokumentationszentrum Tidofeld bei der Konzeption zu einer vierteiligen Veranstaltungsreihe zusammen. Dieses Jahr war das Thema „Flucht, Aufnahme, Erinnerung“. Zwei Veranstaltungen mussten aufgrund der Pandemie Covid 19 abgesagt werden. Lennart Bohne, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Dokumentationszentrums und seit 2017 auch Mitglied des Begleitausschusses der PfD, schickte uns folgenden Bericht:
Durch Förderung der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Aurich als Teil des Bundesprogramms „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend war es der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld möglich, im Jahr 2020 die ersten zwei der ursprünglich mehrteilig geplanten Veranstaltungsreihe „Flucht, Aufnahme, Erinnerung“ zu realisieren.
Ziel war es, in Form verschiedenartig geprägter Veranstaltungen wie Vorträgen, Lesungen oder Zeitzeugengesprächen die Migrationsgeschichte in Deutschland seit 1945 aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und den „Normalfall Migration“ darzustellen. In diesem Sinne wirkte die Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld als Dialogmedium in die Gesellschaft hinein: Rückblicke wurden ermöglicht, Vergleiche wurden gezogen und Debatten mit Blick auf Gegenwart und Zukunft geführt.
Leider musste die Veranstaltungsreihe aufgrund der Covid 19-Pandemie ab dem ersten sog. Lockdown vom 22. März 2020 geltend eingestellt werden. Auch sorgfältige Maßnahmen zum Infektionsschutz führten aufgrund der beengten Raumsituation nicht zu einer Situation, die Veranstaltungen erlaubte.
Zur Veranstaltung am 29. Januar 2020 (Besucherzahl: > 80): Von Schlesien nach Ostfriesland: Erinnerungen eines indes, Jugendlichen und jungen Erwachsenen“
Joachim Strybny wurde am 6. Juni 1937 in der niederschlesischen Stadt Glatz geboren. Die
Zeit seiner behüteten Kindheit währte allerdings nur kurz. Nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg entschieden die alliierten Siegermächte in Potsdam die politische und territoriale Neuordnung Deutschlands. Davon war die Familie Strybny direkt betroffen. Im
Januar 1946 wurde sie aus Schlesien ausgewiesen. Die Fahrt in einem Güterzug mit unbekanntem Ziel dauerte 13 Tage. Kälte, Plünderungen und eine ungewisse Zukunft waren ihre ständigen Begleiter.
Vertrieben aus seiner Heimat, erreichte Joachim Strybny mit seiner Mutter und weiteren Angehörigen Anfang Februar 1946 Aurich. Von dort aus wurde die Familie auf einen Bauernhof nach Arle weiterverteilt. Erst in Ostfriesland sah Joachim Strybny seinen aus Kriegsgefangenschaft entlassenen Vater wieder. Die Jahre nach der Ankunft waren wechselvoll: Sowohl die Sicherung der finanziellen Existenz der Familie als auch die soziale
und kulturelle Eingliederung benötigten Zeit und erforderten großen Lebensmut. In späteren Jahren war es Joachim Strybny möglich, das Ulrichsgymnasium in Norden zu besuchen. Nach seinem Abitur studierte er Deutsch, Geografie und Geschichte in Göttingen. Das Studium musste er sich mit Hilfe zahlreicher Gelegenheitsjobs – zumeist als Musiker – in Eigenleistung finanzieren. Sein Weg führte ihn schließlich zurück nach Norden, wo er am Ulrichsgymnasium eine Stelle als Lehrer antrat. In Norden heiratete er seine Jugendliebe Meta. Die beiden gründeten eine Familie und bekamen zwei Söhne.
Die Erinnerungen eines Kindes, Jugendlichen und jungen Erwachsenen an Vertreibung, Ankunft und Eingliederung setzte Joachim Strybny bei seiner Lesung immer wieder in den historisch-politischen Kontext der Zeit.
Zur Veranstaltung am 11. März 2020 (Besucherzahl: < 30): „Diese Erinnerungen dürfen nicht mein Leben zerstören.“ Flucht und Vertreibung aus und nach Ostfriesland 1933-1949 Vortrag von Prof. Dr. Bernhard Parisius
Zwangsmigration aus und nach Ostfriesland in den 1930er und 1940er Jahren hat auf verschiedene Weise sehr unterschiedliche Menschengruppen betroffen. Manche dieser Formen sind wenig bekannt oder werden wenig beachtet. Prof. Dr. Bernhard Parisius, wissenschaftlicher Leiter der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld, sprach über diese verschiedenen Formen: die Flucht von politischen Gegnern der Nationalsozialisten aus Ostfriesland in die Niederlande; die Flucht und Vertreibung der ostfriesischen Juden; die Verschleppung von ZwangsarbeiterInnen aus den besetzten Ländern nach Ostfriesland und ihre Rückkehr in die Heimatländer; und schließlich die Aufnahme von etwa 70.000 Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.
Dabei wurden Erlebnisse und Erfahrungen von Zeitzeugen, sowohl von Opfern als auch von Einheimischen vorgestellt. Immer wieder ging es zum einen darum, wie die Opfer ihr Schicksal erlebt und verarbeitet haben. Zum anderen darum, wie die nicht selbst zur Flucht gezwungenen oder nicht selbst von Vertreibung betroffenen Einheimischen diese verschiedenen Formen der Zwangsmigration erlebt haben und was die Konfrontation mit diesen Schicksalen für sie bedeutet hat und bis heute bedeutet.