Ganz allgemein geht es um die Stärkung der Demokratie in der Gemeinde Großheide im Landkreis Aurich, betonten die Initiatoren zur Gründung ihres Zusammenhangs, der sich „Kantiger Tisch Großheide“ nennt. 22 Großheider und Großheiderinnen waren bei der Auftaktveranstaltung am 19. April 2023 dabei.
Impulsreferate gab es von Hilke Osterwald (Vorsitzende der KZ-Gedenkstätte Engerhafe), Jan Heljen (Initiator der Bürgerinitiative gegen eine Mülldeponie) und Jörg Köhler (Mitglied des Begleitausschusses der Pfd und Vorsitzender von „Aurich zeigt Gesicht“.
Neben „Aurich zeigt Gesicht“ ist der „Kantige Tisch Großheide“ nun das zweite demokratiefördernde Bündnis, das in unserem Landkreis auf Gemeindeebene existiert. Mit diesen lokalen Bündnissen können weitere Gelder generiert werden, um demokratiefördernde Projekte zu fördern, wobei es v.a. um Beratung und öffentliche Sichtbarkeit geht.
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Im folgenden drucken wir den Impulsbeitrag von Jörg Köhler (Mitglied des Begleitausschuses der PfD) ab. Es handelt sich um ein Redemanuskript, das wir unverfälscht wiedergeben – der Text ist nur sanft redigiert.
„Wir als Zivilgesellschaft sind gefordert“
Ich darf mich zunächst ganz herzlich für die Einladung bedanken. Ich finde es toll, dass sich hier ein Kreis gefunden hat, um sich Themen zu widmen, die uns alle berühren, unter den Nägel brennen. Und ich denke, das wird sehr spannend und sicher auch auf einem guten und respektvollen Niveau.
Lassen Sie mich vorab festhalten: Wir haben morgen den 20. April, und der wird gerne von Kräften „gefeiert“, die uns fremd sein müssen: Da wird ein Geburtstag von einem Diktator gefeiert, der die Demokratie mit Füßen getreten, Leid über viele Länder gebracht und Menschen nur als willige Untertanen benutzt hat.
Wir müssen die Demokratie als Bewahrung zur Selbstverteidigung sehen. Nur, wenn wir selbst in sicheren Räumen leben, sind wir auch in der Lage, anderen Menschen eine gute Hilfe für einen besseren Weg zu leisten.
Ein paar Worte zu meiner Person und zu meiner Arbeit in Aurich und hier im Kreis. Seit den 1970iger Jahren bin ich politisch aktiv: viele Jahre Elternbeiratsvorsitzender, Jugendarbeit, Sportvereinsarbeit und 25 Jahre Mitglied der Grünen – hier war ich in vielen Funktionen aktiv, auch war ich 15 Jahre Kommunalpolitiker. Seit 2007 wohnhaft in Aurich, dort nach einigen Jahren der Arbeitsloseninitiative beigetreten und bald in den Vorstand eingestiegen. Seit 2017 bin ich Mitglied im Begleitausschuss der „Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Aurich“, dazu später noch ein paar Anmerkungen.
2018 habe ich nach einigen Vorfällen bzw. den Morden, die bundesweit von rechtsgerichteten Kräften begangen wurden, zusammen mit einigen Mitstreiter:innen das Bürgerbündnis „Auricher zeigen Gesicht“ gegründet, später änderten wir anlässlich der Vereinsgründung den Namen in „Aurich zeigt Gesicht“, kurz AzG. PfD und Azg arbeiten vorzüglich zusammen.
Neben der Positionierung gegen Rassismus und Diskriminierung ist uns wichtig, die Inhalte von Menschenwürde, Toleranz, Demokratie, Respekt und Solidarität zu vermitteln und mit Leben zu füllen. Zudem ist es uns wichtig, für regionale Verbundenheit und Weltoffenheit zu werben.
Wir haben seit dem Bestehen mit vielfältigen Aktionen und Veranstaltungen auf uns aufmerksam gemacht:
– Coronaleugnern begegnen
Mahnwachen nach Attentaten von rechts
– Kulturelle Veranstaltungen
– Bündnisse einehen und Netzwerke aufbauen
– Aktionen, wie zum Beispiel die zusammen mit dem Landkreis und der „Parnterschaft für Demokratie“ länger andauernde Kampagne „Mehr Respekt“ oder die im ganzen Landkreis agierende Wanderausstellung zu den Menschenrechten, die auch auf Plattdeutsch präsentiert wurde.
Wenn ich an der einen oder anderen Stelle etwas emotional werden sollte, bitte ich schon jetzt um Entschuldigung. In den letzten Jahren hat mich das Thema Demokratie sehr beschäftigt. Und es hat auch etwas mit Zusammenhalt und Gerechtigkeit zu tun – und da bin ich dann doch sensibel.
Sensibel bin ich auch bei dem Wort Hass. Der amerikanische Erfolgsautor John Grisham ist entsetzt darüber, wie es Donald Trump geschafft hat, Hass salonfähig zu machen. Die einzige Hoffnung, die er hat, ist, dass bei der letzten Wahl 81 Millionen die Demokraten gewählt haben.
Und schon wird’s emotional, wenn ich ein bisschen aus der Landschaft der blöden Sprüche zitiere, die da wären:
– Die in Berlin
– Korrupte Bande
– Machen ja doch, was sie wollen
– Wählen? Nein Danke!
Oder man wählt AfD, wie in Ostdeutschland jede(r) vierte(r) Wähler. Ich denke, es gibt keinen Zweifel, dass die AfD mit unserem demokratischen System ein Problem hat, sie will einen anderen Staat, sie will autoritäre Strukturen. Das belegen auch Studien, wie ich jüngst bei einer Tagung in Berlin zur Kenntnis nehmen konnte. Dort erfuhr ich auch, dass der Oberbürgermeister von Weißwasser mit einem Wähleranteil der AfD von über 20 Prozent zu kämpfen hat. Er lässt sich aber nicht beirren, weil er das demokratische System – die Grundlage unseres Zusammenlebens – für alternativlos hält.
Demokratie ist kein Ruhekissen, für sie musst du jeden Tag aufstehen, Demokratie erfordert vollen Einsatz, Wachsamkeit! Ministerpräsident Weil schrieb mir kürzlich in einem Brief: Die Demokratie ist nicht perfekt, sie hat ihre Schwächen. Gerade deswegen muss es Menschen im Land geben, die sich einmischen und nicht schweigen.
Und ich denke und so verstehe ich den Kantigen Tisch, der heute und hier in Großheide gegründet wird: Einmischen und hellwach sein. Es geht um gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir als Zivilgesellschaft sind gefordert, mitzumachen. Ich habe in den letzten Monaten erfahren dürfen, dass auch die Politik dies unterstützt. Sie will, dass die Menschen sich für die Demokratie einsetzen und den Extremisten die Stirn bietet. Deshalb gibt es derzeit auch eine intensive Diskussion seitens der Bundesregierung, federführend ist das Bundesinnenministerium, das eine Neujustierung der Demokratieförderung unter dem Slogan „Für Demokratie und gegen Extremismus“ auf den Weg bringen will. Dieser Punkt, im Koalitionsvertrag festgelegt, soll bis zum Jahreswechsel 2023/24 auf den Weg gebracht werden.
Was ist wichtig, um gesellschaftlichen Zusammenhang zu kultivieren?
a) Dialog, Dialog, Dialog – miteinander sprechen, nicht über jemanden sprechen
b) zuhören
c) Offenheit
d) eigene Sichtweise eventuell hinterfragen
e) in den Spiegel schauen
f) nicht besserwisserisch daherkommen
Was ist Zivilgesellschaft? Zivilgesellschaft grenzt sich vom staatlichen und wirtschaftlichen Sektor sowie von der Privatsphäre ab. Sie ist eine lebendige Arena des kollektiven öffentlichen Handelns mit Positionen zu gesellschaftlichen Fragestellungen, Lösungen und Verfahren. Zivilgesellschaftlichen Akteur:innen sind etwa Vereine, NGOs, Verbände, Kirchen und soziale Bewegungen.
Ihr Engagement beruht auf Selbstorganisation, sie ist rechtlich gemeinnützig, nicht profitorientiert und unabhängig von parteipolitischen Interessen.
Zivilgesellschaftliche Akteur:innen haben viele Rollen: Sie leisten Hilfe für sozial Bedürftige und Schwache, übernehmen aber auch wichtige demokratische Funktionen. Vereine und Initiativen können in der Öffentlichkeit Themen setzen oder auf Probleme aufmerksam machen, an die sich staatliche Stellen nicht herantrauen. Sie können Druck aufbauen, damit sich etwas ändert. Sie sind auf Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Zugang zu Informationen, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit angewiesen.
Eine unabhängige und kritische Zivilgesellschaft, die sich an Menschenrechten orientiert, nimmt die Rolle einer Wächterin ein: Sie fordert Rechte von Benachteiligten ein, kritisiert die öffentliche Politik, setzt sich für politische Mitgestaltung ein und zieht die Regierung zur Rechenschaft. Das alles macht sie zum Motor für gerechte und nachhaltige Entwicklung.
Ich werbe für diesen demokratischen Staat, denn ich weiß um die besondere Qualität der Gewaltenteilung (mit dem legislativen, judikativen und exekutiven Teil). Ein hohes Gut. Sie wird viel zu oft in Frage gestellt: Dabei habe ich Israel vor Augen, wo der der Regierung mehr Macht gegeben werden soll auf Kosten der unabhängigen Justiz. Auch Polen und Ungarn sind Beispiele für die Geringschätzung der Gewaltenteilung – immerhin EU Länder. Die Demokratie steht in einigen Ländern auf der Kippe; es wird auch, wie in Polen, mit der Wiedereinführung der Todesstrafe spekuliert. Die Autokraten weltweit schieben sich nach vorne. Extrem ist es in Russland, Iran und einigen arabischen Staaten.
Und schon landen wir bei den Menschenrechten:
• Nur drei Prozent der Weltbevölkerung leben in Staaten, in denen zivilgesellschaftliche Grundfreiheiten garantiert sind
• Der negative Trend zur Unterdrückung der Zivilgesellschaft setzt sich global unvermindert fort
• Firmen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern rüsten autoritäre Staaten mit Überwachungsprodukten aus
Ich zitiere die Präsidentin von Brot für die Welt:, Dagmar Pruin: „Derzeit leben nur drei Prozent oder 240 Millionen der Weltbevölkerung in „offenen“ Staaten, in denen zivilgesellschaftliche Grundfreiheiten wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert sind. Dagegen leben etwa neun von zehn Menschen in Staaten mit „beschränkter“, „unterdrückter“ oder „geschlossener Zivilgesellschaft“. Dort werden Rechte bedroht, eingeschränkt oder gar außer Kraft gesetzt.“
Genau deshalb ist es unsere Pflicht, Demokratie und Zusammenhalt zu leben.
[…]
Ich möchte dann doch noch zwei Dinge zum wirklichen Schluss loswerden: ich hatte die „Partnerschaft für Demokratie“, kurz PfD, erwähnt. DiePfD ist ein Baustein in dem Bundesprogramm „Demokratie Leben!“. Allein im Landkreis werden wir in diesem Jahr für Demokratieprojekte, auch Jugendprojekte, mehr wie „schlappe“ 50.000 Euro und mehr verteilen. Auf der Website www.moin-zusammen.de erfahren Sie mehr dazu.
Dem „Kantigen Tisch Großheide“ wünsche ich ein gutes Gelingen und viel Erfolg. Sprechen Sie die Themen an, die unter den Nägeln brennen, ehrlich und offen. Schließen Sie Bündnisse mit Partnern, um stark zu werden. Möge der Tisch konsequent kantig sein, in der Form letztlich ein runder Tisch werden, um Zusammenhalt zu kultivieren.